Mehmet Göker: Von Westerwelle zu Westhelle

Vielleicht hätte er es besser als letzte Warnung aufgefasst, jene Begegnung am Abend des 18. August 2009 im Kasseler Restaurant „Pfeffermühle“ – denn hier blickte Guido Westerwelle bei Weinbergschnecken und Rinderfilet nicht nur einem Autosuggestionsbolzen und Egomanen zutiefst wesensverwandten Kalibers ins Auge. Nein, sein Gastgeber Mehmet Göker war ihm in sozusagen selbsttranszendierender Schnittigkeit eventuell schon vorausgeeilt: Bei seinem fulminanten Aufstieg hatte er viel von Westerwelles Pimp-my-Party-Methoden quasi im Crashverfahren auf die Vermittlung privater Krankenkassen übertragen. Erbracht hatte dieser Modellversuch eine Realfarce, die sich durchaus auch als Satyrspiel zu strukturell verwandten FDP-Zuständen zur Zeit des 18%-Hullygullys oder rund um den 14,6% Wahlsieg von 2009 deuten lässt.
Innerhalb eines Jahres hatte sich der deutschtürkische Versicherungsmakler mit der mit seinen Initialen versehenen Firma „MEG“ 2005 seine erste Million verschafft: Einer Art. Versicherungs-Callcenter, untergebracht in einem Nachkriegs-Büroklotz an der Kasseler Falderbaumstrasse. Schon im ersten Jahr war der Umsatz auf 11 Mio. geklettert, „Spiegel“ 47/2010 beschrieb einen Marktbereiniger im Höhenflug:„Seine Geschäftspartner sind die großen der Branche: Allianz, die Axa, Consal, Inter, Central und die Hallesche. Die MEG wächst fast schneller, als sie Leute rekrutieren kann. Gökers Nichten, Neffen, Onkel und andere Verwandte finden Unterschlupf in der Firma. Bei seinem Porsche-Händler überredet er einen Autoverkäufer, zur MEG zu wechseln. Er wird Vorstand, seine Frau Vertriebsmitarbeiterin, deren Vater Aufsichtsrat“. Der Dienstwagenpark bestand aus Ferraris, Porsches und Boliden, obwohl die Arbeit am Telefon erledigt wurde, teure Luxusreisen belohnten die Best-Mitarbeiter. Generell wich die Firmenphilosophie von gängigen Geschäftszielen ab. Eigentlicher Betriebszweck scheint nämlich im Nachhinein weniger Versicherungsverkauf als die Propagierung einer Art Geld- und Erfolgskirche gewesen zu sein: Statt Erlösen ging es um Erlöser Göker, den Firmenvideos bei Betriebsversammlungen amerikanischen Evangelisations-Zuschnitts wie eine überdrehte Karikatur auf Westerwelles parteitagsübliche Schlagwort-Stampeden zeigen: Freiheit, Leistung, Zukunft und Wachstum – noch über Westerwelles „Bahn frei!“ –Enthemmungs-Stakkato hinaus zum schieren „Geld her!“-Grundsatz radikalisiert.
Frenetisch bejubelt sein Glaubensbekenntnis: „Jeden Tag, den ich aufstehe, jeden Tag den aufwache, jeden Morgen, jeden Abend habe ich nur einen Gedanken: Das Beste für diese Firma zu geben. Ich kriege es und ich liebe es, es ist mein Herz und es ist meine Religion. Ich bin stolz darauf, hier stehen zu dürfen. Ich bin stolz darauf, mit euch arbeiten zu dürfen. Ich! Liebe! Diese! FIRMA!“ Die begeisterte Belegschaft nahm ein Kernspruch in die Pflicht: „Wenn mir ein Verlierer sagt, dass etwas nicht geht, dann heißt es nur, dass es für ihn nicht geht. Für mich ist alles möglich. Der Gewinner ist immer ein Teil einer Lösung. Der Verlierer ist immer ein Teil eines Problems. Sei ein Gewinner. Beginne jetzt!“ Anders, als der Policen-Messias wähnte, war es mit marktradikalen Credos allein aber nicht getan. Konkursverwalter Fritz Westhelle: „Es war eigentlich von Anfang an so, dass das Unternehmen mehr Geld ausgegeben hat, als es eingenommen hat“. Dank Gökers Auftreten ließen sich die Versicherungsgesellschaften, die ca. 2,5 Milliarden pro Jahr für die Akquise in ausgelagerten Subunternehmen ausgeben, schließlich darauf ein, große Provisionssummen vorzuschießen. Die Bestandsgarantie für Gökers Goldrausch-Betrieb war damit dauerhaft prolongiert. Bis 2009, als er Westerwelle und seinen Büroleiter Martin Biesel mit dem Helikopter zum Abendessen einfliegen ließ, erwirtschafteten ihm seine rund 1200 Vertreter und Innendienstler pro Jahr noch bis zu 65 Millionen Euro Umsatz. Zwei Jahre zuvor hatte sich der Gewinnerwartungshorizont allerdings erstmals eingetrübt. Am 4. September 2007 meldete die „Hessische/Niedersächsische Allgemeine“: „Mit einem in den vergangen Jahren nie in Kassel gesehenen Großaufgebot begannen Mitarbeiter der Finanzbehörden, des Zolls, der Staatsanwaltschaft und der Polizei mit einer Durchsuchung der Firmenzentrale des Kasseler Versicherungsvermittlers MEG 24 in der Falderbaumstraße. Rund 200 Mitarbeiter waren aus ganz Hessen zusammengezogen worden. Parallel dazu wurden auch die Wohnung des Firmeninhabers Mehmet Göker durchsucht.“ Der weilte damals in New York. „Die Ermittlungen richten sich laut Michael Geidies, Staatsanwalt beim Landgericht Kassel und stellvertretender Pressesprecher, gegen den Vorstandsvorsitzenden Göker und drei weitere Personen“ so die HNA. „Der Verdacht: Steuerhinterziehung (§ 370 Abgabenordnung) und Beitragsvorenthaltung von Sozialbeiträgen (§ 266a Strafgesetzbuch)“ Zum Prozess kam es dann nicht, nach fast einem Jahr, am 2. August 2008, berichtete dieselbe Zeitung: „Das Strafverfahren gegen den Vorstandsvorsitzenden des Kasseler Versicherungsvermittlers MEG AG, Mehmet Göker, ist beendet. Göker muß eine Strafe von 720000 Euro zahlen. Das entspricht 720 Tagessätzen zu je 1000 Euro, dem angenommenen täglichen Nettoverdienst. Das bestätigte gestern die Kasseler Staatsanwaltschaft.“ (Insgesamt belief sich die Schadenssumme laut Göker-Anwalt Dr. Michael Nagel aus Hannover auf einen „niedrigen einstelligen Betrag im Millionenbereich“ (2,5 Mio Euro Steuer, 2 Mio Euro Sozialversicherungsnachzahlungen) Um das Verfahren abzukürzen, war das Urteil per Strafbefehl ergangen. Göker: „Das habe ich in Kauf genommen, Ich wollte, dass die Geschichte so schnell wie möglich vorbei ist. Und sich nicht noch Jahre hin zieht. Das hätte meiner Firma mehr geschadet als alles andere.“ Damit war er zwar vorbestraft, entschieden war mit dem Strafbefehl allerdings nur über die Zeit von Januar bis August 2007. Insolvenzverwalter Westhalle gegenüber Spiegel TV: „Dann gab es Nachforderungen der Sozialversicherungsträger und der Finanzverwaltung. Die führten zu immensen Zahlungen, die geleistet werden mussten und das war schon ein Stück auf dem Weg zur Zahlungsunfähigkeit.“ Noch weiter in Schieflage manövrierte sich Göker durch seine Exitstrategie: Um die aufgelaufenen Provisions-Verbindlichkeiten gegenüber den Versicherungen zu bedienen, erweiterte er seinen Mitarbeiterstamm immer beliebiger, die so häufig mangelhaft ausgehandelten Verträge wurden von den Versicherungsnehmern oft storniert.
Dies also der Stand der Dinge, als er Guido Westerwelle dann im Spätsommer 2009 traf. Grund: Wegen ihrer Positionen zur privaten Vorsorge wollte er auch die Liberalen aus seiner gefühlten Schatulle bedenken. „FDP-Chef Guido Westerwelle traf kurz vor der Bundestagswahl einen vorbestraften Steuerhinterzieher, der der FDP eine Parteispende in Aussicht gestellt hatte“, mokierte sich der „Stern“. „Wie der stern in seiner neuen, am Donnerstag erscheinenden Ausgabe berichtet, erhoffte sich Westerwelle eine Parteispende von dem Unternehmer Mehmet Göker, der damals noch den Kasseler Versicherungsvertrieb MEG führte. "Die MEG hatte im Wahlkampf eine Spende für die FDP angekündigt", räumte ein FDP-Sprecher ein. Darum trafen sich Westerwelle und sein damaliger Büroleiter und heutiger Staatssekretär Martin Biesel am 18. August 2009 zum Abendessen mit Göker in einem Kasseler Restaurant. "Es war ein toller Abend", s agte der Unternehmer dem stern. („Stern“, 24. Februar 2010) Gut einem Monat später, am 11. September 2009, trat ein Kasseler Staatsanwalt vor die Kameras und erklärte: „Heute gegen Mittag hat die MEG AG einen Insolvenzantrag beim Amtsgericht Kassel gestellt. Es ist ein sogenannter Eigenantrag, das heißt, die AG hat den Antrag selber gestellt. Der Antrag wird begründet mit drohender Zahlungsunfähigkeit.“ Für Göker, er am selben Tag seinen MEG-Vorstandvorsitz räumte und die Firma für einen Euro an einen Mitbewerber veräußerte, kamen noch Anzeigen wegen Fahrerflucht, Bedrohung und Beleidigung dazu, ermittelt wurde auch wegen Insolvenzverschleppung. Insolvenzverwalter Fritz Westhelle stieß bei Durchsicht der Unterlagen dann auch auf ein Schreiben, dass das Ergebnis des Westerwelle-Dinners dokumentierte. Bei einem Redaktionsgespräch im Januar 2010 mit der „Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen“ berichtete er, etliche Spenden, die Gökers MEG Sportvereinen und Schulen habe zukommen lassen, leider zurückfordern zu müssen, desgleichen vom örtlichen Finanzamt die 225.000 Euro, die mit dem Verkauf von Gökers Rolls Royce (KS – MG 550) erzielt, worden waren, die 32.000 Euro für das Deutsche Rote Kreuz, das Kasseler Diakonie-Krankenhaus und „Ein Herz für Kinder“ und die 70.000 Euro, die die FDP als Wahlkampfspende erhalten habe. Einziger Beleg dafür war in der “chaotischen Buchhaltung der MEG“ (Westhelle) ein Brief von Westerwelles Büroleiter Biesel an Göker, worin sich dieser für die „“handfeste Unterstützung” bedankte. Auch die Verwendung des Betrags konnte Biesel rapportieren: Die Anzeige im ganzseitigen Format sei beeindruckend. “Sie haben dazu beigetragen, dass wir sensationellerweise die Seite eins im Bonner Generalanzeiger bekommen haben”. Noch zwei ganzseitige Anzeigen seien gebucht. Etwas später musste Westhelle jedoch zurückrudern: sein Rückruf ließ sich nicht umsetzen. Pressedienst ddp: „Der Insolvenzverwalter des Kasseler Unternehmens MEG hat Medienberichten widersprochen, wonach er 70 000 Euro Spendengelder von der Bundes-FDP zurückfordere. «Bisher gibt es keinen Beleg für eine Spende», sagte Insolvenzverwalter Fritz Westhelle heute auf ddp-Anfrage. Es sei lediglich ein Schreiben bei dem Unternehmen aufgetaucht, in dem sich die FDP für eine Spende bedanke. Eine entsprechende Zuwendung oder deren Höhe habe bislang «nicht verifiziert» werden können, fügte Westhelle hinzu. Möglich sei auch, dass es sich um eine private Spende des ehemaligen MEG-Vorstandsvorsitzenden gehandelt habe, sagte Westhelle. Wäre dies der Fall, könne er als Insolvenzverwalter die Zuwendung nicht im Namen der Firma zurückfordern, um Geld für die Gläubiger zu sammeln. Die «Hessisch-Niedersächsische Allgemeine» (HNA, Donnerstagausgabe) hatte zuvor gemeldet, dass Westhelle Spendengelder von der FDP zurückfordern wolle. Ein FDP-Sprecher in Berlin sagte, es habe keine MEG-Spende an die Bundes- oder Landesebene der Partei gegeben. Auch «untere Parteigliederungen» hätten keine Spenden erhalten“, fügte er hinzu. Während des vergangenen Wahlkampfs habe zwar der Bundesvorsitzende Guido Westerwelle das Unternehmen besucht, die FDP habe von MEG aber keine finanziellen Zuwendungen oder andere Leistungen erhalten.“ Der vor seinen Gläubigern in die Türkei entwichene Göker ließ die HNA wissen, er „bewundere Westerwelles Politik“, da dieser sich mit der FDP für die private Krankenvorsorge einsetze, habe aber „ weder der FDP noch Westerwelle Geld gespendet.“ Was das – sinnbildlich ersklassige – Biesel-Schreiben also tatsächlich beglaubigt, ist offen,desgleichen Gökers Zukunft, der, erneut am 22. April 2010 verurteilt, Medienberichten zufolge nun von der Türkei aus bei Versicherungskunden anrufen lässt. Die Umfunktionierung einer Vermittlungsagentur in eine persönliche Akklamations-Atrappe leuchtet ihm, wie ein „Spiegel-TV“-Bericht ausweist, bis heute ein. („Hätte es keinen Personenkult um mich gegeben, hätte es diese Firma in dieser Größenordnung nicht gegeben.“) Westerwelles Einschätzung seiner eigenen FDP-Verdienste dürfte davon nur wenig abweichen, obwohl ihn der Kehraus dieser seltsam phänotypischen Allegorie auf seine eigenen Idiolatrien womöglich als düsteres Omen für den FDP-Zustand in der Nach-Guido-Ära ankommen dürfte: Nachdem am 19 Juni 2009 bei einer ersten Versteigerung von Göker-Eigentum 7836 Euro zusammengekommen waren – was ungefähr seine Schuldentilgungszinsen einer Woche abdeckte – kamen am 18. und 19. Januar 2010 im Hof der Spedition Heerdt in Kassel-Oberzwehren weitere Gegenstände unter den Hammer. Der Info-Dienst „Das Investment“ am 7. Januar: „Dazu gehören unter anderem 80 Club-Sakkos für den Herren und 32 MEG-Siegelringe, die der Finanzvertrieb ehemaligen Mitarbeitern geliehen hatte und die nun zur Konkursmasse gehören. Zur Versteigerung soll auch die Schubkarre kommen, in der Mehmet Göker einst Bargeld transportierte, um verdiente Mitarbeiter auszuzeichnen, und die als „Grabplatten“ bezeichneten Steintafeln, auf denen verdienten Mitarbeitern gehuldigt wurde.“ Das Ergebnis der zweiten Versteigerung fiel besser aus, nicht zuletzt weil eine absolut stimmige Devotionalie 2300 Euro erzielte: Ein Boxumhang mit Originalunterschrift von Muhammad Ali.
 
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