Politiker Gottschalk?


Noch eine verpasste Chance: Ein wenig thematisierter Aspekt der über mehrere TV-Sender abgewickelten Thomas-Gottschalk-Demontage ist nämlich, dass Deutschland damit womöglich auch der eventuell aussichtsreichste politische Seiteneinsteiger flöten geht. Deutlich wurde während seiner Karriere immer wieder, dass ihn die politische Sphäre anzog, speziell im Umfeld von Rot-Grün. Schon im November 1995 empfing er Gerhard Schröder (noch mit Hillu) in Duisburg bei „Wetten dass“, das Paar verlor seine Wette (ein Schweizer blies der Länge nach durch einen geseiften Holzbalken, bis Schaum herauskam) und zerschmiss anschließend für 20.000 DM Porzellan von Hillus Mutter zugunsten von Hillus Tschernobyl-Hilfe).
Vor der Bundestagswahl 1998 begründete Gottschalk in seiner Kolumne „Thommy schreibt in Bild“ seine Stimme für Schröder. Am 20. Februar 1999 begrüßte er ihn mit Frau Doris wieder bei „Wetten Dass“. Schröder bestallte ihn auch als „Kanzlerberater“: „Er ist ein kluger Mann. Und ich zögere nicht, ihm einen Redetext zu geben und zu sagen: „Du mit Deiner großen Fernseherfahrung, guck mal drauf, gibt es da Formulierungen, die man anders machen würde“ (SPON, Eines Tages) Mit Boris Becker und Marius Müller-Westernhagen machte sich Gottschalk in Anzeigen für die doppelte Staatsbürgerschaft stark und sparte mit lobenden Worten. Der Lohn dafür ergab sich 2000, als Schröders Regierung die Post privatisierte. Für die P-Aktie wurden Gottschalk und sein Bruder als Werbeträger verpflichtet. „Die Deutsche Post lässt sich den Spaß mit Gottschalk rund 100 Millionen Mark kosten. Ein entsprechender Vertrag wurde mit der Dolce Media getroffen, an der die Gottschalk-Brüder mit 40 Prozent beteiligt sind. Größter Aktionär von Dolce Media ist der TV- und Merchandising-Anbieter EM.TV.“ (Spiegel, 20.07. 2000)
Gottschalk-Bruder Thomas war Profi.„Durch ihn wurde in den 1980er Jahren das Product-Placement im deutschen Fernsehen eingeführt: Er zeichnete dafür verantwortlich, dass in der Kriminalreihe „Tatort“ Fahrzeuge der Marke Opel eingesetzt wurden, wofür das Unternehmen bezahlte. Darüber hinaus stattete er einige James Bond-Filme mit Motorrädern von BMW aus.“(Wikipedia) Die Dolce Media – 1999 gegründet – kaufte dem ZDF die „Wetten, dass“-Rechte ab, organisierte seitdem die Gästeauswahl und vermarktete das fabelhafte Sendekonzept, eine GEZ-finanzierte Dauerwerbesendung für Tourneen, Bücher und Filme mit ewigem Haribo-Goldbärenteller, weltweit. Eine weitere Transaktion meldete Die Welt am 30 April 2003: „Die Deutsche Post startet mitten in der Werbekrise eine millionenschwere Werbekampagne. Die Brüder Gottschalk und Postchef Klaus Zumwinkel werden an diesem Mittwoch auf dem Berliner Flughafen Tempelhof einen neuen Markenauftritt von DHL ins rechte Licht rücken. (…)Die Werbeaktion wird die größte der Unternehmensgeschichte. Rund 125 Mio. Euro will der Bonner Konzern in diesem Jahr weltweit für Werbung für die neue Marke ausgeben. In Deutschland, wo künftig alle Privatpakete von rot-gelben Fahrzeugen ausgeliefert werden, sollen Thomas und Christoph Gottschalk mit TV-Werbespots und Anzeigen der Öffentlichkeit Vertrauen zu der bislang unbekannten Marke DHL vermitteln.“ Nach dem es den Grazern im November 2003 gelang, „innerhalb weniger Stunden den Rathausplatz in ein Fitnesscenter zu verwandeln“ (Die Welt, 10. November 2003) musste Gottschalk eine verlorene Saalwette einlösen: Er hatte sich verpflichtet, im Bundestag eine Rede zu halten. Die stieß aber auf Hindernisse. „Der Sprecher von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, Wolfgang Wiemer, sagte im Kölner „Express“ (Montagausgabe): „Dafür müsste sich Gottschalk erstmal wählen lassen, sonst hat er kein Rederecht." Grünen-Politiker Volker Beck erklärte im selben Blatt: "Wir haben so schwere Probleme zu lösen und keine Zeit für solche Ansinnen. Da muss er sich eine andere Plattform suchen." Ähnlich äußerten sich der SPD-Politiker Michael Müller und Norbert Lammert (CDU).“ (Stern, 9. November 2003) Der FDP-Fraktionsvorsitzende Gerhardt lud ihn zur Fraktionssitzung ein: „Gottschalk sei ein kluger Kopf, der sich immer wieder in politische Diskussionen eingemischt habe.(Handelsblatt, 11. 11. 2003)
An Bundestagspräsident Thierse kam Gottschalk diesmal nicht vorbei: „Um hier reden zu können, müssen Menschen durch Wahlen legitimiert sein. Im Fernsehen kann jeder auftreten und quatschen, wenn er nur witzig und unterhaltend ist. Wenn Herr Gottschalk im Bundestag reden will, soll er für eine unserer demokratischen Parteien kandidieren und die Chance nutzen sich wählen zu lassen.“
Gottschalk hielt dann eine mäßig kabarettistische Rede (siehe Kasten) an einem nachgebauten Bundestagspult, Blicke auf das Bundestagsplenum wurde dazwischen geschnitten. Im Jahr 2004 kulminierten seine Anstrengungen, sich öffentlich als irgendwie sozial verantwortlich und nah am Normalbürger zu vermitteln. Nach einer verlorenen Saalwette – Sportreporter Jörg Wontorra gelang es ,vier Bremer Familien oder Wohngemeinschaften dazu zu bringen, mit ihrer kompletten Zimmereinrichtung in einem offenen Container vor dem Dom Quartier zu beziehen' –ließ er sich mit Blaulicht in einer grünen Minna zur JVA Bremen-Oslebshausen expedieren, um sich dort für eine Nacht „inklusive Durchsuchung, Abgabe der persönlichen Gegenstände und Überreichung des „Schläfergepäcks“, worunter die Grundausstattung für Häftlinge samt Zahnbürste, Zahnpasta und wenig modischem Trainingsanzug zu verstehen ist“, in eine U-Haft-Zelle einsperren zu lassen.
Die „Kronenzeitung“ aus Wien: „Den Gefangenen in Oslebshausen versprach Gottschalk danach, ein „Wort zum Sonntag“ zu sprechen. Der Entertainer löste die Wette durch Gespräche mit Inhaftierten ein und gab auf seiner Station mit rund 30 Häftlingen das Frühstück aus.“ Noch mehr darauf ab, das Image des Luftikus, Bayreuther Festspiel-Kaspers und Luxusvillen-Besitzers im kalifornischen Malibu abzustreifen, zielte die im Juli gestartete ZDF-Doku-Soap „Gottschalk zieht ein“, bei er sich für jeweils 5 Tage als Ersatz-Vater bei Normalbürgern einquartierte: Mit der Hausfrau Friederike Hein aus Lüdenscheid flog er nach London zum Musical „We will rock you“, half in der Pension Redel im Erzgebirge und auf dem Bauernhof von Familie Heerweg in Bad Kohlgrub im Alpenvorland aus, im Juni 2004 marschierte er bei einem Fußballspiel Dortmund-Leverkusen auch in BVB-Fankleidung im Stadion herum, sogar eine Hamburger Familie, die einen Sohn mit Down-Syndrom hatte, machte vorübergehend seine Bekanntschaft.
Als weiteres Wandel-durch-Annäherung-Signal an die deutschen Zuschauer kaufte er sich im November ein Schloß am Rhein bei Remagen. Während dessen war sein Bruder Christoph mit Bundeskanzler Schröder in Fernost: „Schröder wird bei seinem China-Besuch von Innenminister Otto Schily, Verkehrsminister Manfred Stolpe und 43 Managern begleitet, darunter auch der Bruder von Entertainer Thomas Gottschalk, Christoph Gottschalk. Dieser hat laut Bild-Zeitung den Chinesen das Konzept für „Wetten, dass ...?“ überlassen und darf als Gegenleistung Werbezeiten im chinesischen TV (500 Millionen Zuschauer) verkaufen. Außerdem solle der Kanzler ihm Kontakte vermitteln, um weitere Shows im chinesischen Staatsfernsehen zu platzieren.“ (FOCUS, 6. Dezember 2004)
Kurz: Wer’s über einen längeren Zeitraum verfolgte, konnte schon auf die Idee kommen, die leise Absicht Gottschalks sei denn doch, inspiriert von seinen in ins politische Fach wechselnden Hollywood-Nachbarn à la Clint Eastwood, Schwarzenegger & Co mal anzutesten, ob es sich auf Deutschland übertragen ließe, Fernsehpromis als Politiker weiterzubeschäftigen. Mit dem Ende von Rot-Grün war zunächst einmal nichts mehr zu machen, die Bundestagswahl 2009 zeigte allerdings wo er inzwischen angekommen war:
„Showeinlage bei der FDP: Moderator Thomas Gottschalk (59, „Wetten, dass..?“) überraschte die Liberalen am Mittwochabend bei einem Wahlkampftreffen in Bonn. Gottschalk sagte im Bonner Generalanzeiger über Westerwelle: „Ich finde, er hat das gut gemacht. Und um zwei, drei Gags beneide ich ihn sogar.“ Vor zwei Wochen hatte der Moderator eine Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel verfolgt. Demnächst will er auch SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier besuchen.“(Bild, 4. Juni 2009)
Aus der Welt vom 18. September 2009 war zu erfahren, für wen er sich entschied: „Mit Westerwelle hatte ich lange meine Probleme. Aber jetzt scheint er mir irgendwie dort angekommen zu sein, wo er eventuell nie hinwollte, wohin aber die FDP immer gehört hat. Das ist kein neoliberales Getöse mehr, sondern eine Politik, die sich auch für die einsetzt, die nicht können, aber keine Wohltaten an die vergibt, die nicht wollen. Der Guttenberg muss allerdings Wirtschaftsminister bleiben, und der Herr Brüderle soll im Bundestag den Hausprälaten machen.“
FDP-Politiker ist Gottschalk leider bis jetzt noch nicht geworden, ein Versuch sollte aber unbedingt gemacht werden, vor allem jetzt, wo er dank der Bekanntgabe diverser weiterer Dolce-Media-Verträge wohl sobald nicht ins Fernsehen zurückfinden wird. Der Spiegel (3/2013) legte in einer Titelgeschichte offen, dass es tatsächlich nacheinander mit Mercedes, Audi und – angepeilt – BMW Millionenverträge über Produkt-Präsentationen mit exakten Kommentarvorgaben gegeben habe. Mutmaßlich könnte sogar der schreckliche Unfall des Sprungakrobaten Samuel Koch mit einem überlangen Audi zusammengehangen haben. Dies alles nach ungefähr 24 Jahren „Wetten dass ..?“ schlagartig herausgefunden zu haben, ist natürlich ein unglaubliches Ruhmesblatt für das Hamburger Nachrichtenmagazin, dass diesen ganzen Krempel offenkundig deckte und zuvor in groß angelegten, vertraulichen Hintergrundinterviews eine äußerst wohlwollende Sonderbeziehung zu Gottschalk aufgebaut hatte.
Wie auch immer, Zeit für die Politik hätte Gottschalk nun, er müsste nur, wie vorher beim Fernsehen, durchsetzen, dass man als Politiker bei entsprechenden Ablösesummen ruhig auch mal die Partei wechseln kann – und dann, wie zu Fernsehzeiten, offensiv thematisieren, wie exorbitant sie mal wieder ausgefallen sein dürften.

Die beleidigte Leberwurst (Thomas Gottschalks Möchtegern-Bundestagsrede)

„Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß, sie waren auf meinen Besuch nicht besonders scharf, aber es ist nicht im Entferntesten meine Absicht, Ihnen ihr Geschäft zu erklären oder die Würde des Hauses anzutasten. Sie halten es ja wohl für ausreichend, wenn Sie sich in diesem hohen, aber schlecht besuchten Hause um das Wohl des Bürgers Gedanken machen. Wo kämen wir denn hin, wenn er jetzt auch noch persönlich hier mitreden könnte? Ich sehe, bei diesem Gedanken wird Ihnen mulmig, was… Der Bürger, da machen Sie sich bitte nichts vor, hat sich von der Politik weitgehend verabschiedet. Ich verstehe Ihren Unmut. Vo allem bei den Kollegen der Grünen-Fraktion. Aber ich muss Ihnen sagen, meine Damen und Herren, bei den Quoten säße ich nicht in der Regierung sondern bestenfalls im Vormittagsprogramm. Dass der Kolleg Eichel die Übersicht verloren hat, das steht spätestens fest, seit er auf jede Kritik stoisch mit der Behauptung reagiert, sie wäre falsch. Ich kenne diesen Blick – ich kenne diesen Blick der Ahnungslosigkeit, denn mit diesem Blick habe ich auf mein Mathematik-Abitur gestarrt, das zu Recht mit ungenügend benotet worden ist… Ich komme zum Schluss, meine sehr verehrten Damen und Herren, und möchte mich hier nicht nur mit Vorwürfen von Ihnen verabschieden… Eine gewisse neue Bescheidenheit in der Politik wird in der Bevölkerung durchaus dankbar zur Kenntnis genommen. So ist es sicher ein anzuerkennendes Zeichen von Sparsamkeit, wenn die Kollegin Merkel sich ihre Kostüme aus den Stoffresten der Bundestagsbestuhlung selbst schneidert und sich mit dem Kollegen Schily den Friseur teilt. Ich bedanke mich für Ihre unerwartete Gastfreundschaft und Aufmerksamkeit. Danke.
(Bild, 8. Dezember 2003)
 
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