Der fehlende Skandal – Leo Kirch


Es ist natürlich auch ein Unding für sich, das Leben, Tod und Wirken des Film-Magnaten Leo Kirch, insgesamt eine der fulminantesten Schweineopern um Geld und Macht in der gesamten deutschen Nachkriegs-Geschichte, wohl kaum je in zutreffender Weise verfilmt werden dürften, obwohl es von wahnwitzigen Einzelheiten darin nur so wimmelt. Schon der Karrierebeginn um 1955, als er mit seinem damaligen Teilhaber Andresen im VW-Käfer nach Italien aufbrach, um mit Hilfe eines Darlehens seiner Schwiegereltern in der römischen Cinecittà die deutschen Rechte an Fellinis neorealistischem Artisten-Drama „La Strada“ für 130.000 DM an sich zu bringen, hat etwas wunderbar wahnsinniges, ebenso die schlappen 3000 $, die er für „Casablanca“ hinblätterte oder sein schäbiges Büro in der Münchner Kardinal-Faulhaber-Straße, das er behielt, während er in den 70er und 80er Jahren zum Anbieter-Monopolisten des ZDF aufstieg: Unumschränkte Herr über Flipper, Fury, Daktari, Raumschiff Enterprise, zahllose Spielfilme und ein verschachteltes System von ca. 88 miteinander verschwippschwägerten Taurus-, Beta- Mercury International-, Janus-, Tricom- Iduna-, Unitel-, Orizonte- und Plaza Synchron- Firmen und deren Hin- und Rückkäufe – wasserdicht abgesichert durch politischen Rückendeckung durch Kohl (zeitweise Chef des ZDF-Verwaltungsrats) und Strauß.
Und bezahlt durch den deutschen Gebührenzahler. Groß Kirchs Taktik des aufgezwungenen Paket-Verkaufs (5% Knüller, 95% Ramsch) die die Fernsehbiographie ganzer Generationen prägte, noch schöner seine Methode, sich widerspenstige ZDF-Unterhändler ggf. gefügig zu machen – „Er setzt die Redaktionen zudem mit der Drohung, dem ZDF bei Abnahmeverweigerung publikumswirksame Stücke wie „Bonanza“ zu entziehen, unter Druck.“(Spiegel /1973) Wunderbar sein Übernahmekrieg mit der Springerpresse, als er zeitweilig über seiner 10%ige Beteiligung gemeinsam mit Burda eine feindliche Übernahme des Konzerns anstrebte: „Die Bild-Zeitung schoß Breitseiten gegen die Bevorzugung Kirchs beim ZDF, bevor der geplante Filmkauf letzten Herbst gestoppt wurde.“ meldete Spiegel 6/90. Zeitweilig beschäftigte Bild den Publizisten Reginald Rudorf quasi hauptamtlich als Anti-Kirch-Polemiker, speziell Kirch-Anwalt und -Berater Theye wurde als satanischer Finsterling ausgemalt – bis am 12. Dezember 1990 Friede Springer und Professor Servatius den Streit stillschweigend beilegten und die Kirch-Kritiker-Kolonne bei Bild und Verlag bis rauf zum alten Vorstands-Fahrensmann Peter Tamm abmustern musste. (Im November 1992 saß Kirch dann mit 25% + 1 Aktie, gut ein halbes Jahr später mit 35% und einer Aktie bei Springer im Boot.)
Und groß sicher auch seine Jahre als innovativer Fernsehgründer von SAT 1 und Pro 7, Jahre, der dem ZDF-Programm auf Jahre die Hollywood-Spielfilme entzog und in denen ihm seine Vormänner Klatten und Kogel erst mal die Meinung austreiben mussten, diese Sender könnten einfach als Abspielgeräte der für ca. 4 ½ Jahre Programm ausreichenden Film- und Serienvorräte funktionieren, die Kirch in seinen gekühlten Speichern in Unterföhring hortete. Im Sommer 1994 holte Programmchef Kogel Thomas Gottschalk, Harald Schmidt und Günther Jauch und Fritz Egner mit dem VW-Bus vom Münchner Flugplatz ab und karrte sie ins Hauptquartier in der Faulhaberstraße „Mit Frankenwein aus dem Bocksbeutel wurde angestoßen: „Ihr kommt jetzt alle“, sagte Kirch. Der einzige, der kniff und lieber bei RTL blieb, war Günther Jauch, „aber der Günther war ja schon immer ein wenig vorsichtig“. (Fred Kogel, SZ-Gedenkbeitrag 16. Juli 2011)
Noch grandioser die Riesenpleite, mit der Kirchs Imperium dann unterging, weil der Alte sich auf Gedeih und Verderb in das Projekt verrannt hatte, in Deutschland ein tragfähiges Pay-TV zu etablieren, dabei ging die Springer-Beteiligung ebenfalls flöten und den Deutsche Bank-Chef Breuer nahm es gleich auch noch mit. Den Auswirkungen von Kirchs Wirken bis in die letzten Verästelungen nachzuspüren, dürfte unmöglich sein, von der Harald-Schmidt-Show über die Verpflichtung Hanns Dieter Hüschs bei der „Beta“ als Synchronsprecher von aberhunderten „Väter der Klamotte“-Stummfilmverwurstungen bis zu gemeinsamen Firmengründungen mit Herbert von Karajan und der immensen Aufblähung der Bundesliga-Gehälter durch seine Eingriffe erstreckt sich vor dem Beschauer ein gewaltiges Panorama. Wir werden seinesgleichen nicht mehr sehen. Freund Kohl hielt ihm im Juli 2011 denn auch die Leichenrede, und wies dabei darauf hin, dass das Foto Kirchs vor dem Sarg an dem Tag aufgenommen worden war, als Kirch als Trauzeuge bei Kohl zweiter Eheschließung fungierte. So weit, so schön und schaurig, fragt man sich aber, was denn nun die barbarischste Schandtat sei, die durch Kirchs Laufbahn zustande kam, könnte die Wahl auch auf eine vergleichsweise unscheinbare, aber wortwörtlich folgenreiche Barbarei fallen:
Was durch Kirch aus Josef Göhlen wurde. Sein Name ist den meisten wohl kaum geläufig, sein Wirken zumindest älteren allerdings sofort bekannt: Bevor Göhlen 1963 beim Hessischen Rundfunk die Verantwortlichkeit für das Kinder- und Nachmittagsprogramm übernahm, hatte er Theater, Philosophie und Geschichte studiert. Unter seiner Ägide entfaltete sich dann beim HR eine Blütezeit wunderschöner Kindersendungen: Mit James Krüss, Hans Clarin und Suzan Doucet wurde „James Tierleben“ umgesetzt, als deutsch-schwedische Ko-Produktion Pippi Langstrumpf verfilmt, gemeinsam mit Georg Bossert konzipierte er die Kinder-Schlager-Disco „Bettys Beat-Box Haus“ und vor allen Dingen sämtliche klassischen Vorweihnachts-Mehrteiler der Augsburger Puppenkiste: „Der kleine dicke Ritter“, „Der Löwe ist los“ „Gut gebrüllt, Löwe“, „Kommt ein Löwe geflogen“ , „Urmel aus dem Eis“, „Kalle Wirsch“ usw. Die düstere Mär vom hessischen Räuberhauptmann „Bill Bo und seinen Kumpanen“ im dreißigjährigen Krieg verfasste er als Kinderbuch zunächst selbst, bevor es die „Puppenkiste“ 1968 als Vierteiler umsetzte. 1970 ließ sich Göhlen dann von Kirch abwerben, und wurde Geschäftsführer seiner Beta- Filmproduktionsgesellschaft, 1973 wurde er dann aufgrund massiven Drucks seitens Kirchs dem ZDF als Abteilungsleiter für das Kinderprogramm nahegelegt. ZDF-Programmchef Viehöver war Kirch vielfach verpflichtet, (Spiegel8/73:„Viehöver macht gelegentlich in Kirchs Eigentum-Apartments in St. Moritz Urlaub und bevorzugt als Transportmittel den „Beta“-Jet.“) und so ging die Bestallung dann trotz eines Rückziehers Viehövers im letzten Moment auch über die Bühne. Spiegel 8/73 über die Verästelungen: „Schon jetzt kommen etwa 90 Prozent der Fremdfilme, die im ZDF-Kinder- und Jugendprogramm ausgestrahlt werden, von „Beta“. Dieser Anteil, befürchten die Redakteure, könnte sich unter einem Abteilungsleiter Göhlen möglicherweise noch vergrößern. Vor allem könnte der „Beta“-Mann im ZDF versuchen wollen, auch unabhängig produzierende Teams zum Einkauf von „Beta“-Produktionen zu zwingen. Bei Viehöver jedenfalls fände Göhlen dabei sicher ein offenes Ohr. ZDF und „Beta“ sind dank Viehöver und Kirch schließlich seit langem eine große Familie. Schon so mancher ZDF-Mitarbeiter fand mit all seinen Intimkenntnissen des Mainzer Senders bei „Beta“ einen höher dotierten Job. Warum sollte es nicht auch einmal umgekehrt so sein? Die Kontinuität wäre allemal gewahrt. Göhlens Lebensgefährtin Andrea Wagner betreut in der Münchner „Beta“-Zentrale die Kinderserie „KliKla-Klawitter“. Sie bliebe in jedem Fall bei Kirch in Lohn und Brot.“
Kirchs Rechnung ging natürlich voll auf: Göhlen ließ „Heidi“, „Pinocchio“, „Alice“,„Sindbad“ und „Biene Maja“ zu japanischen Animationsserien verwursten, stemmte Weihnachtsmehrteiler wie „Nesthäkchen“, „Silas“ oder „Jack Holborn“ sowie den unvermeidlichen „Alf“ und „Captain Future“ ins Programm und kreierte auch für das 80/90/00/10er-Werberahmenprogramm so unverwüstlichen Schund wie „Forsthaus Falkenau“ oder den „Landarzt“. Ab und zu kam das alte Qualitätsgefühl noch mal durch, auch die „Muppet-Show“ holte er ins ZDF, die „Simpsons“; auch die „Wickie“-Zeichentrick-Serie geriet ja durchaus vertretbar. Trotzdem: Das alte Flair hat die "Augsburger Puppenkiste" nach Göhlens Weggang nie wieder erreicht, und gerade das sollte man Leo Kirch durchaus nicht verzeihen.
 
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