Lerryns Larry im Liebknecht-Haus


Dass es auch in der Linken noch über den parteitypischen Standard hinaus Fachkräfte für Klamauk gibt, stellt ein seit über 40 Jahren Unentwegter immer gern unter Beweis: Dieter Dehm. „Auf dem letzten Waldeck-Treffen 1969 machte ein damals neunzehnjährger Newcomer auf sich aufmerksam, der sich Lerryn nannte.“, beschrieb ihn Barden–Spezialist Thomas Rothschild in einem seiner 23 „Liedermacher“-Porträts von 1980 „ Sein Repertoire bestand im wesentlichen aus zwei Liedern: Einer Beatles-Paraphrase mit Mao-Tsetung als Refrain und einem zweideutig-witzigen Song über den Frankfurter Polizeipräsidenten. Die Lieder kamen sehr gut an, und Lerryn genoß das. Dieser junge, ein wenig eitle, sehr agile und ehrgeizige Liedermacher, war der interessante Nachwuchssänger jenes Jahres und er machte auch auf seine weitere Entwicklung neugierig.“ (S. 116)
Die wurde sehr bunt: Sein schönstes Frühwerk ist zweifellos eine deutsche Bearbeitung des Popsongs „Yellow River“ der britischen Band „Christie“. Während sich im Song der Engländer ein amerikanischer Soldat der Südstaaten darüber freut, dass er nach dem Ende des Bürgerkrieges in sein Heimat zurückkann, verlegte „Lerryn“ den Schauplatz nach Asien: „Während des Koreakriegs, vor über zwanzig Jahren wurden die amerikanischen Eindringlinge in Korea während der Schlacht am WangHo durch die vereinten Kräfte des Volkes vernichtend geschlagen. WangHo, das heißt auf Deutsch „Gelber Fluss“. Im Lied selbst berichtete dann „ein amerikanischer Koreasoldat einem jungen GI, der nach Vietnam eingezogen werden soll, über die Schlacht am Gelben Fluss.“
Ein wirklich bekannter Protestsong-Schreiber wurde „Lerryn“ trotzdem nicht, dafür aber unter seinem richtigen Namen Dehm ein SPD-Medien-Multifunktionär, Millionär und Frankfurter Lokalpolitiker. Als die DDR 1976 Wolf Biermann ausbürgerte, diente er ihm einige Jahre als Manager, später managte er auch Katharina Witt, arrangierte für das ZDF Coca-Cola-Werbesendungen und Anti-Aids-Festivals und schrieb für die SPD die Partei-Hymne „Das weiche Wasser bricht den Stein“, dem 80er- Krächz-Rocker Klaus Lage den Hit „Tausendmal berührt“ und Götz George/Schimanski den Titelsong für den „Tatort“-Krimi „Faust auf Faust“. Nebenbei diente er seiner Partei im Frankfurter Kommunalwahlkampf als Organisator von Karnevalsveranstaltungen und Büttenredner, ab 1993 als Mitglied des Magistrats von Frankfurt, 1994 rückte er für die Abgeordnete Barbara Weiler in den Bundestag nach.
1996 wurden über 400 Aktenblätter aufgefunden wurden, die auswiesen, dass er von 1971 – 1978 als IM „Willy“ und „IM Diether“ auch Stasi-Informant war. Ein Parteiausschlussverfahren wurde eingestellt, trotzdem trat Dehm 1998 nach 38 Jahren Mitgliedschaft aus der SPD aus und ging am Tag der Bundestagswahl zur „Linken“-Vorgängerin PDS.
Eine der steilsten deutschen Politkarrieren: Schon ein Jahr später war er stellvertretender Bundesvorsitzender und war es auch noch, als beim Parteitag in Gera 2002, wie jetzt kürzlich wieder im Machtkampf Bartsch-Lafontaine, die verfeindeten Reformisten und Traditionslinken aneinander gerieten: Nach der Bundestagswahl 2002 waren von den 36 Bundestagssitzen gerade noch die beiden Berliner Direktmandate von Gesine Lötzsch und Petra Pau übrig geblieben, beim Parteitag am 12. und 13. Oktober stand die Partei kurz vor der Spaltung, Frau Pau, Bundesgeschäftsführer Bartsch und andere „Reformisten“ hatten nach Abstimmungsniederlagen den Parteiaustritt erwogen. Im Berliner Karl-Liebknecht-Haus wohnten beide Gruppen allerdings unter einem Dach, entsprechend war das Sozialklima, speziell auch zwischen Bundesgeschäftsführer Bartsch und dem – nunmehr radikal exponierten – stellvertretenden Parteichef Dieter Dehm. Kurz nach dem Parteitag meldeten Spiegel, Bild und Berliner Kurier, Stunden nach dem Parteitag sei Dehm beim hauseigenen Wachbüro aufgekreuzt und habe die Wachdienst-Dame Gabi S. von der Firma Sido-Security aufgefordert, dafür zu sorgen, dass „Gen. Bartsch keinerlei Unterlagen, Dokumente, Mappen unbefugt aus dem Haus“ schaffe.
Ihr Einsatzleiter, Manfred O., berichtete später, Dehm habe ihn zu einem Mitternachts-Treff in ein Restaurant bestellt. Spiegel 44/02: „In diesem Gespräch“, erinnert sich der Wachmann, „wurde mir durch D. Dehm eindeutig klar gemacht, dass es zwingend erforderlich sei, dass ich eine persönliche Erklärung an Diether Dehm schreiben müsse.“ Inhalt: „Niemals seien Kontrollen angeordnet worden.“ Er habe zunächst nachgegeben „Daraufhin schrieb ich in diesem Restaurant am 18.10.2002 gegen 01.00 Uhr einen mehrseitigen persönlichen Brief. Diesen diktierte mir zum überwiegenden Teil D. Dehm.“ Dehm habe als Gegenleistung neue Aufträge für Sido Security in Aussicht gestellt, zu diesem Zweck habe er extra einen Grundstücksverwalter im Schlepptau gehabt.
Doch dem Sicherheitsmann war die Sache anschließend mulmig geworden, und er hatte sich dann an einen Klienten gewandt, dem er auch schon als Bodyguard zur Seite gestanden hatte: Gregor Gysi. Gysi riet ihm, die Vorgänge zu protokollieren und als Dossier der hilflos zwischen den Flügeln lavierenden Parteivorsitzende Gabi Zimmer zu schicken. In geschlossener Sitzung trug Zimmer dem Parteivorstand dann aus dem Protokoll vor, woraufhin Dehm mitteilte, er sei missverstanden worden. Zu einer eidesstattlichen Versicherung fand er sich nicht bereit, fühlte sich allerdings „kriminalisiert“.
Im linken Parteiforum „Glasnost“ verbreitete der frühere DDR-Journalist Manfred Behrendt allerdings eine gänzlich andere Lesart der Vorgänge: „Praktisch-politisch nutzte der in Gera geschlagene Flügel die so genannte Taschenkontroll- oder Wachbuchaffäre aus. Ihr lag zugrunde, dass der stellvertretende PDS-Vorsitzende Diether Dehm am 13. 10. abends das Karl-Liebknecht-Haus aufsuchte, weil er gehört hatte, dort brenne in mehreren Zimmern Licht – so dem des bisherigen Bundesgeschäftsführers Bartsch –, und es würden Kisten weggeschleppt. Er überzeugte sich davon, dass das nicht so war, und zog wieder ab. Im Wachbuch wurde dies mit der Anmerkung „o. B.“ – ohne Besonderheiten – festgehalten. Stunden später traf der Chef der Sicherheitsfirma ein. Er bereicherte das Buch durch den Zusatz, Dehm habe beim Besuch die „außerordentliche Anweisung“ erteilt, darauf zu achten, dass Bartsch „keinerlei Unterlagen, Dokumente, Mappen“ aus dem Haus schafft. Diese Nachricht wurde der bürgerlichen Presse zugespielt. Sie machte in Bild, Spiegel und Berliner Kurier Furore. Dehm bestritt, etwas angewiesen zu haben. Die früheren Parteivorsitzenden Gysi und Bisky aber nahmen die ungeprüfte Sache zum Anlass, sich zu entrüsten. Sie verlangten von Zimmer, „die nach unserer Ansicht dringend notwendige Entscheidung herbeizuführen“.
Wie dem auch sei, vermutlich stimmt beides größtenteils. Dehm jedenfalls wollte dann 2003 Oberbürgermeister in Lörrach werden, In den PDS-Bundesvorstand kam er im selben Jahre erst mal nicht mehr, wurde dafür im nächsten Jahr aber Landesvorsitzender der Partei in Niedersachsen und zog als ihr Spitzenkandidat 2005 in den Bundestag ein. Inzwischen sitzt er wieder im Linke-Bundesvorstand.
Dass man weiter mit ihm rechnen muß, zeigte sich bei der 14. Bundesversammlung am 30. Juni 2010, die sich zwischen Christian Wulff und Joachim Gauck entscheiden mußte. Als ein ZDF-Journalist fragte, ob er jetzt Gauck wähle, gab er zur Antwort: „Was würden Sie denn machen, hätten Sie die Wahl zwischen Stalin und Hitler? Was würden Sie denn machen, wenn Sie die Wahl zwischen Pest und Cholera haben? Das sind hypothetische Fragen. Warum soll ich mich zwischen etwas entscheiden, was beides Krieg und sehr viel Leid für Hartz-IV-Empfänger und sehr viel Leid übrigens auch für Gewerkschafter in diesem Land bedeutet?“
 
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