Conny Piepers Platzreservierung


2006 ging es darum, die ostdeutschen Vorzeige- Liberale Cornelia Pieper irgendwie in den Fraktionsstrukturen überleben zu lassen. Einen gewissen Ruf hatte sie, seit sie am 21.April 2002 war die FDP mit triumphalen 13,3% ins Magdeburger Parlament zurückgeführt hatte. Danach hatte ein wochenlanger Eiertanz der Spitzenkandidatin und ehemaligen Dolmetscherin für Polnisch und Russisch die Partei genervt.
Einerseits hatte sie versprochen; auf jeden Fall im Land zu bleiben. Andererseits saß sie noch im Bundestag und nach der der anstehenden Bundestagswahl 2002 waren evtl. noch ganz andere Posten vakant. So war geraume Zeit nicht klar, ob sie nach Magdeburg ginge oder nicht. Am 6. Mai wollte sie in der Regierung eintreten, das Kultusressort übernehmen und zudem stellvertretende Ministerpräsidentin werden. Und als was: Parteichef Westerwelle hatte gesagt, sie werde „sicherlich bis zur Bundestagswahl“ im September Generalsekretärin bleiben, nun hieß es sie ginge „mit beiden Beinen nach Magdeburg“, gegen eine Kultusministerin Pieper sperrte sich CDU-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer, so äußerte sie am 13. Mai, ihre „Tendenz“ gehe nun doch dahin, „als starke Fraktionsvorsitzende, was einem Ministeramt gleichkommt“, im Landtag die „politischen Richtlinien für die Regierungsarbeit“ vorzugeben. Die Welt vom selben Tag mochte das aber nicht so stehen lassen: „Tatsächlich dürfte aber ein Blick in die sachsen-anhaltinische Landesverfassung die Entscheidung beeinflusst haben. Die verbietet nämlich Ministern bezahlte Nebentätigkeiten. Den gut dotierten Berliner Parteijob mit einem geschätzten Monatseinkommen von rund 10000 Euro müsste eine Ministerin Pieper aufgeben – oder auf das Gehalt verzichten. Da sie zu beidem nicht bereit ist, wird sie nun halt Fraktionschefin – und behält Job und Geld.“
Vierzehn Tage später legte sie zwar ihr Bundestagsmandat nieder, nochmals zwei Wochen später stimmte auch das nicht mehr. „Generalsekretärin Pieper kandidiert doch wieder für Bundestag“ meldete am 14.06.2002 SPON über die frischgebackene Fraktionsvorsitzende, inzwischen hatte man sie in Halle als Direktkandidatin nominiert. Auf Journalistenfragen erwiderte sie es stelle sich nicht die Frage, ob sie im Falle einer Wahl in den Bundestag ihr Landtagsmandat niederlegen werde. Den „Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit sehe sie weiterhin in Sachsen-Anhalt.“ Laut "Financial Times Deutschland" hatte sie aber den Spitzenplatz auf der Landesliste beansprucht. So zog sie nach der Bundestagswahl im September in den Bundestag ein.
Bei der Wahl zum Bundesvorstand wurde sie mit 61 Prozent abgestraft, Erzfeind Kubicki streute Ablösungsgerüchte im Wochentakt. Trotzdem blieb sie noch drei Jahre im Amt, forderte u. a. die Einschulung von Kindern bereits mit vier Jahren; Sondertankzonen im Osten mit staatlichen Chipkarten, eine Volksabstimmung zur Rechtschreibreform und, für eine Liberale recht eigentümlich, die Abschaffung des Dreikönigstags als gesetzlichen Feiertag in Sachsen-Anhalt. Die Kultusministerkonferenz wollte sie durch einen „Nationalen Bildungsrat“ ersetzen. Wogegen sich Hessens FDP-Fraktionschef Jörg-Uwe Hahn, Baden-Württembergs Liberale Birgit Homburger und der niedersächsische Fraktionschef Philipp Rösler scharf verwahrten („Pisa hat ja auch etwas mit Lesefähigkeit zu tun. Daher würde ich Frau Pieper bitten, dass sie sich die Beschlüsse der Partei noch mal genau durchliest“.) Anfang Januar 2004 zitierte die „Leipziger Volkszeitung“ einen ungenannten Vize-Parteichef mit den Worten, die FDP-Führung sei sich einig, dass Generalsekretärin Pieper nach dem Parteitag abgelöst werden müsse, weil für die Bundestagswahl 2006 „die besten Kräfte“ an die Spitze müssten. Mit der Entsorgung seiner Ost-Vorzeigefrau legte Westerwelle ein echtes Kabinettstück hin: Zwei Top-Liberale waren zuvor gestrauchelt: Ulrike Flach und Walter Döring. Die stellvertretende FDP-Landesvorsitzende von Nordrhein-Westfalen bezog, wie sich herausgestellt hatte, neben ihrem Abgeordnetengehalt noch 60.000 € jährliches Salär für nicht näher definierte Übersetzungstätigkeiten von ihrem alten Arbeitgeber, dem Siemenskonzern. Der baden-württembergische Landesvorsitzende Walter Döring hat sich in Machenschaften des Politberaters Hunzinger verfangen, der seinem Landesverband eine Spende überwies, während Döring gleichzeitig Aktienbesitz an seinen Unternehmen hielt. Westerwelle-Biograph Sattar schildert das Manöver: „Da tauchen Berichte über Zahlungen an die Abgeordnete Flach für Übersetzertätigkeiten für den Siemenskonzern auf – sie selbst glaubt dabei nicht an Zufall. Andreas Reichel, ebenfalls ein alter Bekannter, ruft Westerwelle an und setzt sich für sie ein. Dann wird ihr mitgeteilt: Ihren Vorsitz im Bundestagsbildungsausschuss müsse sie abgeben, das Bundestagsmandat dürfe sie behalten. Den Ausschussposten benötigt das Dehlerhaus für Pieper. Ende November wählt die Fraktion diese zur Nachfolgerin von Flach. Danach tritt Westerwelle vor die Presse und sagt, der Posten des Generalsekretärs müsse neu besetzt werden, das sehr politische Amt sei mit der Aufgabe einer Ausschussvorsitzenden nicht zu vereinbaren. (…)Doch wird Pieper gleich doppelt abgefunden: Neben dem Ausschussvorsitz soll sie als stellvertretende Bundesvorsitzende dem Präsidium weiter angehören. Diesen Posten hatte Döring bekanntlich freigemacht. Als Frau und als Ostdeutsche rundet sie die Konstellation ab.“
Bis zur Abwahl als Generalsekretärin im Mai 2005 trudelte sie noch einem finalen Desaster entgegen. Seit einiger Zeit sollte sie „Liberale Leitsätze“ aufstellen, eine repräsentative Sammlung freidemokratischer Standpunkte. Dazu hatte sie eine Programmkommission einberufen: „Als die Denker-Combo im Oktober 2004 zum ersten Mal zusammen saß“, so Spiegel 14/05, „merkte sie rasch, dass eine Zielperspektive fehlte. „Wir wussten gar nicht, was wir hier sollten“, beklagen Teilnehmer. Man habe da irgendein „Liberalismusverdeutlichungsverklarungspapier“ zu verfassen versucht, bestätigt auch der Publizist Hans D. Barbier. Eine ganze Reihe „externer Experten“ sollte laut Vorstandsbeschluss neue Impulse vermitteln, aber die ausgeguckten Persönlichkeiten hatten entweder keine Zeit oder keine Lust – oder wurden von der FDP wieder vergessen.
Barbier nahm immerhin an einer Wochenendklausur in der Friedrich-Naumann-Stiftung am Potsdamer Griebnitzsee teil – der Historiker Arnulf Baring besuchte, wie sich Kommissionsmitglieder zu erinnern glauben, lediglich „ganz am Anfang“ eine einzige Sitzung und wurde danach nie mehr gesehen. „Es war grauenvoll“, so ein Kommissionsmitglied; „keine Planung, kein gar nichts. Auf Impulse hat sie freiwillig verzichtet. In heiterer Erinnerung blieb den Mitgliedern vor allem der stets vergebliche Versuch der Kommissionschefin, die Diskussion am Ende zusammenzufassen. Doch statt die Redebeiträge zu bündeln, bot ihr Schlusswort meist neuen Anlass zur Debatte.“
Ostern 2005 versuchte Frau Pieper letztmals, aus angefallenen Stichwortzetteln in Klausur ein Memorandum zu erstellen. „Eine brauchbare redaktionelle Fassung konnte sie ihren Kommissionsmitgliedern jedenfalls bis zum Vorabend der geplanten Präsentation nicht vorweisen“ (ebd.) Stattdessen zog sie sich mit einem mysteriösen Bandscheibenvorfall aus der Affäre. Ein Pressesprecher sagte die Präsentation im letzten Augenblick ab, Frau Pieper liege derzeit „in einem abgedunkelten Zimmer. Sie kann vor Schmerzen kaum telefonieren, trotz der Medikamente, die der Arzt ihr verabreicht hat.“ Offenbar ein Fall spontaner Selbstheilung. Schon eine Stunde später wurde sie bei einem Berliner Edel-Italiener bei entspanntem Studium der Speisekarte beobachtet. „Auf dem Weg nach Hause aß sie zu Mittag“, so die FDP-Pressestelle zwei Tage später „und besprach dabei mit einem Mitarbeiter wichtige Angelegenheiten.“„Solche Rückenbeschwerden hat sie ja schon lange", hieß es danach in der FDP: „Das scheint jetzt zu einem sehr günstigen Zeitpunkt akut geworden zu sein.“ (ebd.) Seit 2009 ist Frau Pieper Staatsministerin in Guido Westerwelles Ministerium des Äußeren, was sie da so macht, würde man doch zu gerne mal erfahren.
 
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