Der kluge Hans & seine Freunde |
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Die denkenden Pferde von Elberfeld |
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![]() Wo Lehrer heutiger Zeit an immer mehr Eseln scheitern, brachte ein verkrachter Pädagoge im wilhelminischen Berlin seinem Pferd Lesen, Schreiben und evtl. sogar Bruchrechnen bei. Eine Unglaublichkeit von Christian Meurer |
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Die Anläufe des Gutsbesitzersohns Wilhelm von Osten, an einem regulären Katheder zu reüssieren, waren allesamt gescheitert: Schon 1866, nach einschlägigen Versuchen an Stücker fünf Lehranstalten, war er mit 28 als untauglich dispensiert worden - selbst nach den robusten Begriffen damaliger Didaktik war Osten völlig ungeeignet, nach heutigen nicht ganz knusper. Nachdem der Junglehrer eine Rohrstock-Schneise durch die Klassenzimmer von Siegen, Holzminden, Lyck, Lemgo und Barmen geprügelt hatte, versilberte sein Vater ein paar Obligationen und schickte den verkorksten Filius damit nach Berlin, sich als Besitzer des Hauses Griebenowstraße 10 am Prenzlauer Berg niederzulassen. Dort hauste er dann jahrzehntelang in zwei Räumen des vierten Stocks als Haustyrann, gehetzt von Tüfteleien aller Art. Etwas Pferdeverstand, Relikt seiner Rittergutsjugend, war im Hinterkopf des Krautjunkers erhalten geblieben, und so war es um 1890 sein Hauptplaisir, Bekannte neben sich auf den Kutschbock zu nötigen und sein Pferd Hans ohne Zügelhilfe durch den Verkehr auf der Friedrichstraße zu lotsen: Geh' rechts, biege links in die Straße ein! Das hatte er seinem Zossen durchs Vorhalten einer Mohrrübe beigebracht, wie ihm überhaupt dessen Gewitztheit selbständiges Nachdenken, das ohne Zweifel ausbildungsfähig ist verriet. | ||
![]() Altersstarrsinn und der Schmerz der Verkanntheit trieben den angehenden Kognitionsforscher schließlich nach Rußland, dort einen fünfjährigen »Orlow-Traber« zu erwerben. Er gab ihm Logis in der Zionskirchstraße um die Ecke und nannte ihn »Hans II«. Zum Einstieg ins Pensum kniete sich van Osten neben Hans aufs Hofpflaster, hob den rechten Vorderhuf an, setzte ihn wieder ab und zählte dazu, auf einen Kegel am Boden zeigend: Eins. Nach einer Woche waren zwei Kegel dran, dann drei, am Jahresende war das Duo bei fünfzehn. Preußens Volksschul- Stremel getreu folgte nun die Addition: von Osten packte etwa rechts vier, links zwei Kegel vor Hans aufs Tischchen, verdeckte die linken mit einem Kistchen und sagte dann: Hans vier und zwei sind sechs und hob das Kistchen hoch. Der Erfolg blieb nicht aus. |
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![]() ![]() ![]() u n a b s i c h t l i c h e r Zeichen von der gegenwärtig bekannten Art ausgeschlossen. Dann brach ausgerechnet Maler Rendich mit dieser Hypothese. Ihn hatte von Schillings Gebaren derart irritiert, daß er seine Schäferhündin Nora seinerseits auf kleinste Kopfbewegungen abrichtete. Es klappte so durchschlagend, daß er Psychologieprofessor Stumpf einweihte. Rendichs Retraite: Das Pferd kann weder rechnen, lesen, noch überhaupt irgendwie eine komplizierte Denkarbeit ausführen, aber es beobachtet sehr scharf und reagiert mit großer Leichtigkeit auf eine gewisse Bewegung, die der Befrager ausführt. Dieses Zeichen besteht in einem leichten Heben des Kopfes ... Diese Bewegung kann von dem Fragesteller bewußt ausgeführt werden, erfolgt aber bei sehr vielen Menschen unbewußt. Debatten in der »Psychologischen Gesellschaft« zeitigten am 13. Oktober eine zweite Kommission, und deren Urteil war niederschmetternd: Das Pferd versagt, wenn die Lösung der gestellten Aufgabe keinem der Anwesenden bekannt ist, beispielsweise, wenn ihm geschriebene Ziffern oder zu zählende Gegenstände so dargeboten werden, daß sie den Anwesenden unsichtbar bleiben. Es versagt ferner, wenn es durch genügend große Scheuklappen verhindert wird, Personen, denen die Lösung der Aufgabe bekannt ist, vornehmlich den Fragesteller zu sehen. Einsichten, die von Kommissionschef Pfungst z.T. persönlich erkämpft waren: Hans biß ihn beim Anlegen der Sichtblende jedes Mal. Pfungsts Theorie der »minimalsten Regungen« walzte er zum Präzedenzfall aus: Die Studie ist so etwas wie eine Gründungsakte des Behaviourismus. Im »Klugen-Hans-Effekt«, einem durch Doppelblindversuch auszuschließenden Verfahrensfehler, lebt das Tier in der Sozialforschung heute noch. |
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![]() Derweil im bergischen Elberfeld der Rhein-Ruhr-Patrizier und Großjuwelier Karl Krall alles über Hans aus der Lokalpresse ausgeschnitten hatte. Nun reiste er nach Berlin und schlug von Osten vor, auf seine, Kralls, Kosten eine Falsifizierung zu wagen. Krall setzte Scheuklappen durch, eine Augenprüfung nach dem »Snellenschen Verfahren« testete Hans auf Stab- und Weitsichtigkeit, ein an einer Wäscheleine aufgehängtes Spektrum den Farbsinn. Nachts wurden brennende Kerzen und Lichtbilder eingesetzt. Krall berichtete später: Am ersten Abend wurden wir gleich zu Beginn durch ein heftiges Gewitter gestört: Es war geradezu dramatisch, wie Hans, erschreckt durch die grellen Blitze und die krachenden Donnerschläge, auf dem Hof unhersprengte, dass die Funken flogen. Aber trotz seiner Aufgeregtheit antwortete er, sobald er für einen Augenblick beruhigt und vor das Lichtbild geführt werden konnte, richtig. Kaum war Pfungsts »Zeichenhypothese« also ausgeschlossen, kannte Kralls Forschungselan keine Grenzen mehr: Zur Gehörprüfung ließ er Apparaturen zur Erzeugung schwacher Geräusche und Tropfgeräte bauen und Riechstäbe mit Ammoniak-, Vanillin- oder Karbolgeruch anfertigen; bekannt gemacht wurde Hans auch mit dem Unterschied der Tätigkeits- und Leideform bei Zeitwörten, gleichseitigen und rechtwinkligen Dreiecken, Magnetismus, Kompaß und Himmelsrichtungen (worüber sich Krall mit von Osten verkrachte). Meist reiste der Elberfelder Emphathiker mit den Diplom-Ingenieuren Busse und Gehrke an. Die saßen dann als Hilfsprotokollanten bis tief in die Nacht mit einem Lämpchen auf der Hoftreppe und mußten Störfälle wie den vom 29. April 1906 notieren: Die aus den Fenstern der verschiedenen Stockwerke zuschauenden Nachbarn störten fortwährend durch immer lautere Zwischenrufe: »Falsch, Hans! Ha-ans!« »Blödsinn !«»Paß doch uff Hans!« usw. Die erleuchtete Fenster ringsum waren belagert von Hunderten von Menschen, die die Versuche mit anulkendem Gegröle begleiten. Herr von Osten lässt sich nicht beirren. Läßt Hans zur Strafe 30mal wiederholen. »Da wird man ja verrückt bei!« Auf seine letzte Lieblingsidee verfiel von Osten ebenfalls durch Krall: Hans im sprechen auszubilden. Krall erinnert sich: Im Geiste sehe ich noch deutlich vor mir, wie wir uns des Nachts, um ungestört zu sein, beim trüben Scheine der Stallaterne bemühten, den Hengst zum Aussprechen der Selbstlaute zu bringen. Es war für mich unverkennbar, wie gut er verstand, was er sollte, und wie er sich alle Mühe gab, unseren Wünsch zu erfüllen. Dabei machte er den engen dumpfen Stall oft bedenklich unsicher, weil er die merkwürdige Eigentümlichkeit hatte, die Laute nur bei starker, körperlicher Bewegung auszustoßen: er »sprach« und wieherte nur im Sprunge, als wenn er sich erst in Schwung hätte versetzen müssen. Ab 1907 mistete der im Hof wohnende Schreinermeister Piehl bei Hans, von Osten war aufs heimatliche Gut östlich der Oder retiriert - unversöhnt: Ist dieser Verbrecher schlechter Laune, was sehr häufig der Fall ist, schrieb er Krall im April 1907, so nützt alles nichts. Dieses entharrte Vieh besitzt wenig guten Willen und ist, trotzdem es viel gelernt hat, dumm. Dieser englische Satan zählt bis 50 und ein anderes Mal kann er gar nicht zählen. Ich hasse nichts mehr als diesen ausgetragenen Halunken. Fern von ihm erlag er im Juli 1909 einem Leberkrebs. Der greise Meister war, als ich (Krall) im Mai an sein Sterbelager eilte, sehr zusammengefallen und litt heftig an innerlichen Schmerzen; das letzte Wort zu mir war eine Verwünschung seines Hans, dem er die Schuld gab an dem herben Missgeschick seines eigenen Lebens. Sein dauernder, tiefer Haß gegen sein Pferd, dem er ein Ende vor dem Mörtelwagen wünschte,dauerte bis zuletzt. Nach der Beisetzung auf dem Zionskirchhof ließ Krall den Hans vom Lehrter Bahnhof nach Elberfeld expedieren; Mitschüler warteten schon. Unterstützt von Major Schoenbeck, da ich keinerlei Pferdekenntnis besaß, hatte sich Krall im Juli 1908 zwei junge Araberhengste verschafft, Muhamed und Zarif, und ihnen in Stallungen des Wuppertaler Kommerzien-Krösus von der Heydt einen stilechten Klassenraum eingerichtet. Am 1. November 1908 war Schulanfang, jedes Pferd paukte täglich zwei Stunden. Das Trittverfahren hatte Krall vereinfacht (Einer nun mit dem rechten, Zehner mit dem linken, Hunderter wieder mit dem rechten Vorderhuf) und ein leicht angeschrägtes Klopfpult schreinern lassen. Jetzt pochten Muhamed und Zarif darauf schon an die Tafel geschriebene Zahlwörter und das Datum sowie zu Grammophonplatten Musikstücke, Taktarten und Namen von Komponisten; wobei Muhameds Eifer von Zarifs Phlegma stark abstach: Rechnete der eine schon seit dem 13. November, so der andere erst ab Ende Januar 1909 - und das auch nur dank des Schneiderschen Rechenknechts. Nach fünf Monaten taxierte Krall seine Pennäler auf der Stufe des klugen Hans und unterwies nun alle drei, Pfungsts Umwelteinflüsse ausschaltend, nur noch mit Scheuklappe. Trotzdem verwandelten sie problemlos gemeine in Dezimalbrüche, suchten Hauptnenner (worin Hervorragendes geleistet wurde), lösten Regel-de-Tri-Aufgaben und Gleichungen mit einer Unbekannten, wobei Krall erstmals eigenständige Hilfsrechnungen feststellte, zogen Wurzeln und potenzierten. Und beileibe nicht nur auf deutsch: Nach einigen Wochen, vermerkt Krall, konnte ich, fast ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, mit ihnen Zähl- und Rechenaufgaben in französischer Sprache bis zur Zahl 100 vornehmen. Mittels einer beweglichen Silhouette des Wilhelm von Osten ging man auch der Signalwirkung kleinster Zuckungen weiter nach, und es wurde eine Pferdeschreibmaschine gebaut; die erstaunlichste Entdeckung Kralls war jedoch, daß sich die Pferde einer eigenen Orthographie bedienten: Ich schrieb die Tatsache, das sie das Wort »Pferd« meistens nicht mit dem eingeübten pf, sondern mit f begannen, anfänglich keine Bedeutung zu. Wenn ich sagte: »Du hast einen Buchstaben vergessen« so erfolgte nachträglich noch das p. Erst als sich derartige Irrtümer auch bei anderen Wörtern zeigten, als v statt f, ä statt e, t statt d buchstabiert wurde, was ich als Lehrer »gewissenhaft« verbesserte, merkte ich, daß die Pferde die ihnen vorgesprochenen Wörter- selbst die orthographisch erlernten- nach der Klangfarbe wiedergaben. Des durchdachten Prinzips wegen ließ er sie gewähren: Die Pferde ließen von selbst Vokale aus, die in der Aussprache vorhergehender oder nachfolgender Konsonanten enthalten sind. Sie buchstabieren flt statt Feld, zucr oder zukr statt Zucker, tredn (treten), zn (zehn), lf (elf, eine ganz sinngemäße Abkürzungsweise). M. a. W: Seit 1909 entspann sich in den Stallungen an der Nützenberger Straße in Wuppertal der bislang konstruktivste Dialog zwischen Mensch und Pferd. Hans und Muhamed äußerten Befindlichkeiten (»faul sein«), Zarif fing an zu petzen, und Krall ließ im Stall ein Telefon anbringen, um die Schüler auch mal anrufen zu können. |
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![]() ![]() Er starb 1915. Den ausgestopften Kopf nahm Krall 1925 mit, als er nach München umzog, um dem Okkult-Professor Schrenck-Notzing zu assistieren; so gehörte Hansens Kopf zum Nachlaß, den Kralls Witwe 1929 der Ludwig-Maximilians-Universität vermachte, und hing bis zum alliierten Fliegerangriff vom 25. Juni 1943 im Büro des Bibliotheksdirektors. Was nun wirklich dran war, dran ist an Hansens Gescheitheit? Tatsächlich ist es wohl so, daß sich tierischem Verhalten nur allzuleicht das Muster unterlegen läßt, das man haben möchte: hier tiefe Seelenregungen (Walgesänge usw.), da reiner Utilitarismus des Instinkts und Überlebenskampfes; und daß die Verhaltensforschung seit eh und je an dieser Komplexproblematik herumlaboriert und nur die Schulen und Konjunkturen je nach Zeitgeist wechseln. Wie man um 1900 glaubte, man könne Pferde wie 14jährige Schüler behandeln, sind derzeit die Pferdeflüsterer dran. Es sind aber durchaus auch andere Fälle von tierisch-menschlicher Kommunikation verbürgt, etwa der Fall der Schimpansin Washoe, die bei dem amerikanischen Forscherehepaar Fouts die Taubstummensprache erlernte; und die jüngste Tochter Thomas Manns, die Biologin Elisabeth Mann-Borghese, baute in ihrer Villa in Fiesole ihrem Setter Arli gleichfalls eine Spezialschreibmaschine, bei der er die Tasten mit der Schnauze herunterdrücken konnte und wohl bis zu vier- buchstabigen Wörtern kam. Den hier geschilderten Pferde-Disput abgebrochen hatte aber bereits der 1. Weltkrieg: Wie eine Million Artgenossen rückten Muhamed und Zarif 1914 als Packpferde zur Westfront ab und ließen nichts mehr von sich hören, weder schriftlich noch sonst wie. Aus den Versuchsaufzeichnungen Karl Kralls (Niederschrift vom 7. Juni 1909) Das Bild Schopenhauers wird den Pferden gezeigt. Krall: »Der Herr heißt >Schopenhauer< also paßt auf! >Schopenhauer!« Zarif (Buchstabiert erst k, was ausgestrichen wird, dann): sobnd... Krall: »Falsch!« Zarif: ...ndauer (Zarif wiederholt also trotz des Tadels das nd, sprich sobendauer). Krall: »Sieh mal hier: >sch< (lautiert und gezeigt); nun Muhamed, also Schopenhauer!« Muhamed: p schobndvn (n wird ausgestrichen) Krall: »Falsch!« Muhamed: r (dvr sprich dauer, der Konsonant »vau« gilt hier als Vokal, also sprich schobendauer.) |