Neues von der Erlenhöhle |
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Franz Josef Degenhardt: Für ewig und drei Tage. Roma. Aufbau Verlag, Berlin 1999, 350 Seiten, 38 Mark |
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Die Autoreparatur betrifft diesmal einen BMW Dixie - Oldtimer (»Wir bauen die Ventile aus«), gegessen wird an einem Tisch »unter Apfelbäumen«, bei der seit weiland »Väterchen Franz« ca. 8. gewaltsamen Geländeräumung im Gesamtwerk vertreibt die Staatsgewalt die Anarcho-Bauwagen-Siedlung nun direkt vom TUS-98-Sportplatz, als der obligate Exhibitionist agiert hier ein Fernsehstar, und den Tango tanzt, wie schon in der Abholzung, ein Sadomaso-Pärchen. Q. e. d. - will sagen, wer mag, prüfe hier mein Thesenbündel aus »Titanic« 10 und 11/98 ruhig noch mal nach: Daß nämlich innerhalb von Degenhardts Lied- und Romanschaffen ein übermächtiger Wiederholungszwang bestimmte Figuren und Motive beständig reproduziert; er sich mittlerweile nur noch um ein Schrumpf-Repertoire fixer Topoi - u. a. Fußball, Tango, Autoschrott und - Unfälle, seinen Paderborner Bischofsvetter und, Special effects, seine Jugendschlupfwinkel am Schwelmer Bahngelände und der in einem Waldstück bei Wuppertal gelegenen »Erlenhöhle« - eine aus fortgesetzten Verlegenheitslösungen zusammengestoppelte Handlung zurechtpappt, die ihm dann früher oder später unweigerlich in solche wie die obengenannten Verläufe hineinrutscht - eine beispiellos unbeachtete Serienfertigung von Selbstrepliken jedenfalls, die, wenn sie nicht bloß ein Sammelsurium nur ihn selbst zuverlässig immer wieder erregender Reizklischees und Privatkürzel darstellen sollen, höchstens noch als Kontinuitätsattrappen a la Grass aufzufassen wären, einzig und allein dazu bestimmt, eine Art von Scheinverbleib in der Öffentlichkeit zu gewährleisten. Wie auch immer, schon der Grundeinfall seiner westfälischen »Zur- Linden«-Familien-Saga - 95. Geburtstag des Patriarchen eines Großbürger-Clans mit dazugehörigem Sippenwiedersehen - ist samt unterschwelliger Gier des Alten nach einer frechen Enkelin eine Weiterentwicklung seines Liedes »Der Geburtstag« von 1981; in zahlreichen Rückblenden in Kriegs- und Nachkriegszeit kann sich seine Verstümmelungs- und Bombenangriffsobsession kräftig austoben (bemerkenswerteste Errungenschaft: die Vaginalpfählung eines deutschen Mädchens durch polnische Zwangsarbeiter kurz nach Kriegsende; zweifellos ein begrüßenswertes Novum in der DKP-nahen Belletristik - wenn nicht bloß das Echo auf das seit 1991 ff. besungene »Polenmädchen«), und die notorischen Zigeunerkinder werden aus KZ-Waggons vom ebenso notorischen Schwelmer Bahngelände natürlich einmal mehr in die Erlenhöhle geschafft. Wie schon abgeschossene englische Bomberpiloten, durchgedrehte HJ-Führer und die Jüdin Rosencrantz von den Kindern in den Zündschnüren; auch Anwalt Kappel in den Brandstellen plante dort ja sein RAF- Versteck und Genosse Potthoff im Liedermacher einen Atombunker (bzw. folterte das Callgirl Edeltraut Liszt aus der gleichnamigen Ballade gemeinsam mit Leidensgefährtinnen etliche Zuhälter zu Tode, die Eskimos seines Kinderbuchs Petroleum und Robbenöl hörten an einem aufschlußreichen Winternachmittag alles Wesentliche zum antifaschistischheimathistorischen Hintergrund der Örtlichkeit, und in einem neueren Lied wird sie samt Antifa-Insassen zur Abwechslung auch mal zugemauert). Gleich Reprisenartiges gilt auch für die Klein-Details: Wieder »Mississippi« von Pussycat aus einem Nebenraum wie in der Mißhandlung, wie im Liedermacher fremdartig instrumentierte Beatles-Musik in seltsamen Zusammenhängen - hier Tafelmusik für einen Greisen-Geburtstag; in Badehosen läßt er diesmal einen Bischof zur Gitarre Fahrtenlieder singen, und alles zusammen ist auch, wie immer, kreuz und quer mit den üblichen hanebüchenen Rechtschreibfehlern gespickt (»Being for the benefit of Mr. Kyte (!)« heißt der Beatles-Titel bei ihm, noch erhabener mahnt allerdings seine Doors-Transkription: »Brake (!) on Through to the other side«). Neben dem Kunstgriff des Familien-Großauflaufs ist seine ebenso übers Werk verbreitete Abstammungsmarotte hier erstmals dominierend strukturbildendes Element, wenn nicht schon das halbe Handlungsgerüst - wo's also nicht schon das Einander-Begegnen ausreichend motiviert, läßt sich erzähltechnisch dank der auf der Umschlag-Innenseite abgedruckten Siebzig-Figuren-Ahnentafel erzähltechnisch in beliebiger Quodlibet- Manier weiter -und entlanghäkeln - d.h.: Eine Leporelle-Garde von wesensmäßig möglichst pittoresk ausstaffierten Original-Hybriden turnt sich einmal quer durch eine Soap-Episoderie aus Stanzwerk und Arabesken - und muß sich diese Aufarbeitung ihrer Privat-Historie auch noch vor dem Hintergrund des SU-Erstauflösungsputsches von 1991 gefallen lassen. Wie in den Liedern auch, unterlaufen Degenhardt natürlich immer noch mal zehn bis zwölf Zeilen gelungene Sozialminiatur, ein zündendes Initial oder auch nur ein paar schärfer beobachtete Konturen - was ihn danach aber nur um so zuverlässiger so lange in die Spachtelmasse langen läßt, bis er alles wieder zur normal-breiigen Gemengelage vermanscht hat. Das eigentlich Verlogene am Buch aber ist, einerseits ständig vereinnahmend auf die literarische Regionaltradition der Immermann, Schücking, Droste-Hülshoff und Josef Winckler zu affektieren (schon in Immermanns Oberhof wird ja beim westfälischen Hofschulzen etliches zusammenrepariert und am Tisch unter Bäumen gesessen), andererseits TV-Soap als heute einzig adäquaten Handlungsverlauf zu propagieren - dann aber weder bodenständige Genrefiguren noch Serienversatzpersonal wirklich noch hinkriegen zu können und das entstandene Wischiwaschi nun augenzwinkernd als gewollten Stilbruch zu verhökern. Dennoch, von Seiten der unverbrüchlichen Genossen-Mentalität, die sich auch diesen Dachziegel wieder treu und hoffentlich wechselseitig auf die Gabentische packt, sei Degenhardt natürlich auch weiterhin jede Mark dafür doppelt und dreifach gegönnt. |